Märchen von Heinrich Spoerl über das Warten

Es war einmal ein junger Bauer, der wollte seine Liebste treffen. Er war ein ungeduldiger Gesell und viel zu früh gekommen. Und verstand sich schlecht aufs Warten. Er sah nicht den Sonnenschein, nicht den Frühling und die Pracht der Blumen. Ungeduldig warf er sich unter einen Baum und haderte mit sich und der Welt.

Da stand plötzlich ein graues Männlein vor ihm und sagte: Ich weiß, wo dich der Schuh drückt. Nimm diesen Knopf und nähe ihn an dein Wams. Und wenn du auf etwas wartest und dir die Zeit zu langsam geht, dann brauchst du nur den Knopf nach rechts zudrehen, und du springst über die Zeit hinweg bis dahin, wo du willst.

Das war so recht nach der, jungen Burschen Geschmack. Er nahm den Zauberknopf und machte einen Versuch und drehte: Und schon stand die Liebste vor ihm und lachte ihn an. Das ist schön und gut, dachte er, aber mir wäre lieber, wenn schon Hochzeit wäre. Er drehte abermals: Und saß mit ihr beim Hochzeitsschmaus, und Flöten und Geigen klangen um ihn. Da sah er seiner jungen Frau in die Augen: Wenn wir doch schon allein wären. Wieder drehte er heimlich, und da war tiefe Nacht und sein Wunsch erfüllt. Und dann sprach er über seine Pläne. Wenn unser neues Haus erst fertig ist - und drehte von neuem an dem Knopf: Da war Sommer, und das Haus stand breit und leer und nahm ihn auf. jetzt fehlen uns noch die Kinder, sagte er, und konnte es wiederum nicht erwarten. Und drehte schnell den Knopf: Da war er älter und hatte seine Buben auf den Knien und Neues im Sinn und konnte es nicht erwarten. Und drehte, drehte, daß das Leben an ihm vorbeisprang, und ehe er sich's versah, war er ein alter Mann und lag auf dem Sterbebett. Nun hatte er nichts mehr zu drehen und blickte hinter sich. Und merkte, daß er schlecht gewirtschaftet hatte. Er wollte sich das Warten ersparen und nur die Erfüllung genießen, wie man Rosinen aus einem Napfkuchen nascht. Nun, da sein Leben verrauscht war, erkannte er, daß auch das Warten des Lebens wert ist und erst die Erfüllung würzt. Was gäbe er darum, wenn er die Zeit ein wenig rückwärts schrauben könnte! Zitternd versuchte er den Knopf nach links zu drehen. Da tat es einen Ruck, er wachte auf und lag noch immer unter dem blühenden Baum und wartete auf seine Liebste. Aber jetzt hatte er das Warten gelernt. Alle Hast und Ungeduld war von ihm gewichen; er schaute gelassen in den blauen Himmel, hörte den Vöglein zu und spielte mit den Käfern im Grase. Und freute sich des Wartens.

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